Interview

Sieben Fragen an Grudda von Grudda

 

1. Was beflügelt Dich bei Deinem Kunstschaffen am meisten, was treibt Dich an?

Die Herausforderung immer wieder aus dem Chaos zu springen. Aus dem Wüsten, dem Ungestalteten, der Wahl aus tausend und einer Möglichkeit die eine heraus zu filtrieren, die – vorerst – die Einzige zu sein scheint (es ist ein unendlicher Lauf, Idee und Realisation zusammen zu bringen, deckungsgleich, – er gelingt nie! so wie Sisyphos am Ziel stets von vorne beginnen muss. Mir geht es da so ein bisschen wie dem Esel, der im sicheren Abstand die Karotte vor der Nase hat, die ihn rennen lässt und die er nie erreicht).

Andererseits – was für ein Fest in einer Skulptur, in einer großen Radierung oder einem Bild das Zappeln des Lebens eingefangen zu haben, so wie eine Libelle fliegt oder eine Nachtigall singt, eine Amsel! Einem Archetypus auf der Spur zu sein, so alt wie alles Fühlen. Einen unmöglich alten Geburtstag zu feiern mit Deiner Geburtsstadt und alle fliegen mit … , bemalen/assemblieren 1000 große Pfähle um Dich herum: Das heißt doch, einen Stern anzünden … – wenn das gelingt … halleluja!

2. Konfrontiert mit den meist großformatigen Arbeiten von Kollegen in der Gießerei und ihren bedeutenden, immer wichtigeren Ausstellungen – wie gehst Du damit um? Und muss man als Künstler zwangsläufig eine Art Größenwahn entwickeln, um sich im Kunstgeschehen behaupten zu können?

Die großen, oft noch viel größeren Arbeiten als meine eigenen der Kollegen bedeuten mir Inspiration und Provokation in einem, Aufforderung mein eigenes Maß zu finden. Über einen 7 oder 9 oder 12 Meter hohen Phallus muss ich lächeln, na gut.

Einiges teilt sich aber nur großformatig mit und macht es klar. Zum Beispiel die große BLAU MIAU, die den Menschen zur Maus werden lässt und gleichzeitig den kleinen Übermut, die riskante Verwegenheit einer jungen Katze (was auch wir teilen – in der Liebe, im Spiel …) transportiert.

Meine Bilder reichen von der Miniatur bis zu den 7 Meter Installationen (wie sonst könnte sich DIE WILDE SCHAFSJAGD – hier in Gudensberg ausgestellt in einer Synagoge – in ihrer Bedrohlichkeit entfalten? Sie gerät über den Sehwinkel hinaus und wird zu einem All-over).
Meine Bronzen spielen mit allen Formaten …

Aber wie ließe sich ein Platz gestalten mit Erdwürmern? Vor einem 12 m hohen Haus ist ein Brünnlein von 1 m schlicht lächerlich. Die Arbeiten müssen sich mit der Architektur messen, ihr standhalten und dann kommt im schönsten Fall eine Symbiose dabei heraus.

Und ein neuer Ort über die Kunst, der einen Platz wohnbar macht und sich bespielen lässt.

3. Wie wichtig ist Dir das Verhältnis zwischen Deinem Werk und seinem jeweiligen Standort?

Der Standort ist von großer Bedeutung – falsch gewählt erschlägt er eine Skulptur oder lässt sie nicht zur Sprache kommen. Sie braucht den äquivalenten, sorgfältig ausgewählten Ort, um ihre ästhetische Nachricht wirksam lancieren zu können. Zumal einige Werke für einen ganz speziellen Zusammenhang geschaffen wurden – historisch an einer Stadtgeschichte entlang wie im Gudensberger Kreisel DIE VERWUNSCHENEN oder dem Brunnen mit der BLAUEN BLUME oder auch soziologisch wie im »Mikrokosmos« – einem Platz mit Brunnen und Wasserlauf zum Bespielen für Kinder in einer Wohnanlage in Zug in der Schweiz: Sie fahren mit ihren Rädern Slalom um die Beine der großen BLAU MIAU, sie sitzen zu dritt und zu viert auf FUCHUR und FIFIFI, den Hunden. Sie reiten auf LULALU, dem großen Zottelschaf und die Kleinsten stehen Schlange vor MAXI und MAURO, den beiden Lämmern. Sie haben ihren privaten »See« zum Baden, der mit frischem Wasser gespeist, auch drei Fischlein sprudeln lässt, einen Sandplatz, dessen vier Tore von Bronzestecken markiert sind, die von den vier Elementen erzählen. Mitunter 68 Kinder vergnügen sich dort, wurde mir berichtet – also, das richtige Werk am richtigen Ort und eine große Genugtuung und Bestätigung für Künstler und Auftraggeber.

Umgekehrt ereignet sich aber auch etwas sehr Interessantes:
Der Zerberus in San Lorenzo steht am Meer, der in Gudensberg vor dem Rathaus, meiner am Eingang des Skulpturenparks. Jeder besitzt mittlerweile eine verschiedene Patina, die das unterschiedliche Klima zaubert, jeder wirkt sich anders auf die Umgebung aus und verändert sie verschieden.

Am Strand sitzen die Kinder darauf, mit Steinen rings herum, um ihn beklettern zu können. In Gudensberg begleitet er die Jungvermählten nach der Standesamtlichen Trauung für ein erstes Photo im neuen Lebensweg. Bei mir ist er Wächter und Grußbote zugleich für jeden Parkbesucher.

Jedes Mal wirkt er anders und tritt in einer eigenen Identität hervor. Spannend auch das.

4. Deine Arbeiten kommen oft spielerisch/heiter daher – wie stehen sie zur Realität?

Manches Mal möchte ich glauben diametral entgegengesetzt. Das Antiprogramm, oder wie mein Philosophieprofessor Odo Marquard jetzt sagen könnte »als Antifiktion«.

War das Pensum der Künstler eine Zeit lang die Welt neu zu erfinden, wurden sie längst überholt von Industrie und Wirtschaft mit ihrem »kalkulierten Irrtum«. Noch Marcel Duchamp ging es – ironisch – darum, die Welt festzuhalten, wie in seinem Readymade, dem festgeschraubten Fahrradrad.

Sie abzubilden, ihre Schrecken zu spiegeln oder zu betonen, ästhetisch, liegt mir sehr fern. Es in ihr auszuhalten und dafür ein paar Parameter zu erfinden – ein Lächeln des Trotzdem – ist meine Antwort (nein, ich erhebe keinen Anspruch auf Exklusivität). Und sie ist stets gepaart mit dem Schatten dahinter, der sich ganz unauffällig an jedes Werk heftet. Ganz so als könne man die schweren Dinge nur ganz leicht ausdrücken –.

5. Wie passt das Werk von Carin Grudda mit der Person Carin Grudda zusammen?

Vordergründig gibt es eklatante Differenzen. Nachdenklich, ernst wie ich in der Welt stehe, – dazu mitunter aufgebracht, streitfähig und einsatzbereit was die Verhältnisse in unserer Welt – der nahen und der fernen – anbelangt … ; streng auch, diszipliniert und entschieden, die Konsequenzen meines Denkens und Handelns zu tragen.

Diese Haltung korrespondiert gleichzeitig mit Dem – Die – Welt – Aushalten. Da mache ich es mir sogar in einem Hotelzimmer schön für eine Nacht und räume die Möbel um. Da versuche ich eine Kerze anzuzünden im Bistrogedränge einer Bahnfahrt, dass selbst der übelgelaunteste Kellner lächeln muss oder der zufällige Nachbar. Ich arbeite die Schrecken weg, die Kälte. Nein, nein, keine Flucht, – oder doch? Kleine Fluchten, in der Gewissheit der übrigen Welt, die immer gegenwärtig ist. Was könnte ich mehr bewirken als eine kleine Änderung in einer Momentaufnahme … – die vielleicht einen weiteren kleinen Kreis zieht wie ein ins Wasser geworfener Stein …

Das Sehen wie mit einem Seziermesser und die milde Operation im Anschluss … , – dass es weniger schmerzt, – beides ist vereint in der Grudda und in ihrem Werk.

6. Was reizt Dich an Kunst im Außenraum?

Einen vernachlässigten Platz, einen übersehenen, einen leeren zum Ort zu machen. So wie früher die Waschfrauen zum Brunnen gingen und ihre Neuigkeiten austauschten, die Kinder rings herum spielten, die Verliebten sich ein Stelldichein gaben … – wenn Du so willst, eine nostalgische, romantische, eine konservative Idee, die mich antreibt.

Skulpturen, die sich beklettern lassen und zum humanen Zentrum werden in den oft anonym gewordenen Stätten. Beseelen, vielleicht (brauchen wir alle, oder?).

Dann: Was für eine wunderbare Möglichkeit, Raum zu schaffen über eine Skulptur! Einen Platz auf den Kopf zu stellen, die Dimensionen zu verändern – der Laser, der vom König auf dem Dach eines Hauses auf das Herz einer Tänzerin trifft, die vom Wasser umsprudelt in einem Boot auf dessen Rand balanciert – ein Zeitstrahl, der das Ingelheim Karls des Großen mit dem Ingelheim des 2. Jahrtausends verbindet (Friedrich-Ebert-Platz in Ingelheim), ein Narr mitten im Bocciafeld, eine Hundegruppe, Rennhühner … – Zitate der verschiedenen Stadtteile, die sich zu einem neuen Platz, einem neuen Zentrum vereinen!

Ein Kreisel mit »ortsansässigen« Leitern, darauf die zwei Raben Hugin und Munin, die den Donnergott begleiteten, Wotan, der Gudensberg den Namen gab. Sie sprühen Wasser über Kreuz; und die kleine Installation wächst in Schneckenform spiralig empor …

Manches Mal fahre auch ich nur einfach um den Kreisel herum, in dem sich Herkunft und Zukunft vereint.

Keine Friedhofsruhe im Museum, keine Kunst für ausschließlich Eingeweihte – mein kleiner sozialer Versuch: Kunst für Alle; Leben hineinbringen in Trostloses, ein Fest feiern im Alltag … immer wieder von Neuem.

7. Gibt es ein neues Projekt an dem Du gerade arbeitest?

Ja, aber es ist keine Auftragsarbeit, sondern eine Reflektion über ein Thema, dass sich just am 31.12.2012 ergab: ich malte einen Sprung in ein neues Skizzenbuch. Der Sprung ins neue Jahr. Der Sprung ins Alter – ich werde sechzig in diesem.

Immer wieder springen wir – von der Geburt an bis zum Tod, jeder von uns. Manches Mal landen wir sanft, manches Mal legen wir eine Bruchlandung hin oder fallen sogar in den Graben. Wir springen von der Kindheit in die Jugend ins Erwachsenenalter, – in die Familie – aus der Familie, von einem Job in einen nächsten, von einem Land zum anderen, von der Gemeinsamkeit in die Einsamkeit.

Im Grunde ist jede Entscheidung ein Sprung. Das schafft Unsicherheit, wechselst Du doch die eine vertraute Seite ein mit der anderen unvertrauten: Neuland.

Es fängt bei den ersten Kinderschritten an.

Der Sprung aber bedeutet noch viel mehr: während beim Gehen immer nur ein Bein »in der Luft« ist und für das instabile Gleichgewicht verantwortlich, löst Du beim Sprung auch noch das zweite Bein vom Boden – es ist der Anfang vom Fliegen, und sei es auch nur einen kleinen Augenblick lang.

Dieser Moment der Schwerelosigkeit ist die heitere, die leichte Seite, begleitet mit Adrenalin …

Ich modelliere also gerade einen Sprung, nein, einen beginnenden, in Bronze (fast absurd mit diesem schweren Material).

Diagonal entfernt von dem geplanten Standort in Gudensberg (meiner Heimatstadt, die mit mir mein Jubiläum feiert!, befinden sich drei große Ausstellungsräume im Erdgeschoss eines neu gebauten Seniorentreffs, die mir bis zu dessen Eröffnung zur Verfügung stehen. Sie sind verbunden mit einem großen, hohen Korridor und also einer langen Wand. Direkt darauf werde ich den Sprung malen. Sowohl meinen Arbeitskittel in Bronze gießen und daneben hängen, als auch meine Arbeitsschuhe davor stellen – nach dem Sprung, hinter der Wand, auf der anderen Seite verschwunden …

Oder einfach aufgegangen im Werk – quer durch die Stadt …