Zu den Arbeiten von Carin Grudda
»Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen.«
Th. W. Adorno, Minima Moralia
Carin Grudda persönlich zu kennen ist nicht notwendig, um ihre Kunst zu rezipieren, macht es aber um einiges einfacher. Damit spiele ich weniger auf Gruddas bildungsbiografische Ursprünge als vielmehr auf ihr Temperament und Gemüt an, dazu aber gerne später mehr …
Es gibt, wenn man das Oeuvre eines Künstlers beleuchtet, viele Wege, die zur Wahrhaftigkeit – wenn man sich diesen, in der Kunst sicher widrigen Begriff zu wählen traut – führen. Der klassische beginnt in der Regel auf den Pfaden der kunsthistorischen Wurzeln des Urhebers. Diese liegen im Fall Gruddas im Studium des gleichnamigen Faches und der Philosophie. Bereits in ihrer universitären Abschlussarbeit befasst sie sich mit dem Dada, dem sie bis heute ihr künstlerisches Schaffen widmet.
Dada, das ist die komplette Ablehnung der konventionellen Kunst und des gängigen Wertesystems. Dada findet Ausdruck in Collagen, Readymades, Lautmalereien und Äußerungsformen aller Couleur, die oftmals ins Absurde abdriften. Kulturhistorisch gesehen der perfekte Nährboden für den sich anschließenden Surrealismus. »In Between«, dort genau positioniert sich das Grudda’sche Werk, fernab jeglicher Normen und Gesetze. Die Künstlerin als Kreator und Generalfeldmarschall im eigenen Reich, das im Skulpturenpark »Tra i mondi« in Ligurien sein Territorium fand: eine Welt voller Form, Farbe und schier endloser Phantasie.
Dabei ist augenscheinlich, dass Grudda das ganze Repertoire künstlerischer Techniken bis ins Detail beherrscht und zelebriert. Skulptur steht gleichberechtigt neben Malerei und Grafik. Allen gemein ist ihr Daherkommen in handwerklicher Perfektion und individueller Ikonografie, die zweckdienlich eine eigene Realität schafft. Ein opulentes Werk, das die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion auflöst und den kunstsüchtigen Betrachter unabdingbar in eine andere Welt entführt, das reich ist an magischen Volumina, das gänzlich auf Plattitüden verzichtet – sichtbarer Ausdruck des Grudda’schen Erfahrungs- und Requisitenschatzes.
Es ist mir lieb, dass sie Schubkarren voller Farbfächer auf die von ihr verwendeten Materialträger aufbringt, als läge ihr Ursprung im Regenbogenland. Gerade die Assemblagen, die sie oftmals mit Fundstücken akzentuiert und ihnen so neue Leben einhaucht, partizipieren unendlich davon: Mit Ruß- und Rauchspuren dem Feuer entkommen (als Unterbau für die Bronzen), tränken sich die Hitzespuren mit lebendigem Kolorit, wie die grell leuchtenden Federn des Phönix, und erwachen zu neuer Existenz in Sinn und Schein. Selbst das einer alten und anderen Funktion entspringende Objet trouvé findet sich auf dem Platz ein, der ebendiese Korrespondenz im Gleichklang erwartet hatte. Alles ist nun endlich so, wie es sein sollte.
Die Protagonisten Gruddas entstammen nicht unserer Erfahrungs- und Menschenwelt, sie pfeifen auf die Gesetze von Schwerkraft und Perspektive, selbst hie und da auf eine Nase, wenn ein Mund, der singt und lacht, gar so viel bedeutsamer ist.
Denn in Freude lebt es sich sehr viel besser, leichter, glücklicher, was mich wieder an den Anfang meines Statements bringt: zur Künstlerin selbst! Niemals wäre es denkbar, in ein so vollendetes Glücksreich einzutauchen, wenn dessen Schöpferin nicht mit dieser Magie und Fülle des Positiven gesegnet wäre. So legt sie im Rausch des Schaffens einen augenzwinkernden Schleier über ihre Gestalten und lässt uns wie durch eine Zauberbrille daran teilhaben. Gerne greife ich in die vielbuntfarbige Ornamentik gemalter, gespritzter, gekratzter Sonnenstrahlen, leihe mir geistig das Krönchen aus der Glücksfabrik »Bild« und werde für einen Augenblick ein königlicher Teil dessen.
Dass die Kunst hier eine fröhliche, positive ist, heißt nicht, dass sie unreflektiert, dekorativ daherkommt. Nein, sie ist ebenso daseinsberechtigt wie eine düstere Wolkenfront Noldes: Beide sprechen aus tiefster Tiefe der Künstlerseele. Nur sprechen sie zwei völlig andere Sprachen. Sie spüren das bei Grudda, wenn Sie auf ihre Arbeiten stoßen, ebenso als würden Sie das Glück haben, Carin Grudda persönlich gegenüberzustehen. Lebendigkeit und gelachte Kreativität pur.
Die Bronzen Gruddas beeindrucken häufig allein schon durch ihre Größe und die Schwere des Materials. Auch hier gilt das Behauptete: Anatomie? Ja! Aber selbstredend nach dem Grudda’schen Formenkanon. Nicht einmal das typische Metallisch-Braun der Legierung haftet den meisten skulpturalen Arbeiten an: Blau oder Türkis machen die Bronzen optisch leichter und lösen die »Blau Miau« beim Blick gegen den himmelblauen Horizont gleichsam transparent auf.
Auf die mir oft gestellte Frage, ob die Figur wirklich eine Katze oder doch eher einen Hund darstellt, antworte ich dann gerne: »Oder auch eine Stabheuschrecke mit langen Beinen, vielleicht sogar eine Verwandte von Fuchur, dem Drachen.«
Nun könnte behauptet werden, Grudda bringe nicht Chaos in die Kunst, sondern lediglich in unser eingefahrenes Denksystem. Auf alle Fälle entspringt ihr wundervolles Oeuvre der Grudda’schen Ideenwelt. Genau so soll es sein, so wie es ist. Und genau so möchte ich es haben. Und bloß nicht irgendwie anders.
Michael M. Marks